Das Schloss

Schloss

Gegen Ende des 14. Jahrhunderts gab es in Dornum drei Häuptlingsburgen: die  Westerburg, die Norderburg und die Osterburg. Die Westerburg existiert nicht mehr, aus der Norderburg wurde später das Wasserschloss und aus der Osterburg die  Beningaburg. Bauherr dieser Burgen war vermutlich Olde Hero Attena von Dornum, dessen Sohn und Erbe  Lütet Attena mit  Ocka tom Brok verheiratet war. 

Quade Foelke auf einem Gemälde im Rittersaal
 

Auf der Norderburg ereignete sich 1397 das wohl bekannteste – und auch literarisch verarbeitete – Familiendrama der  ostfriesischen Geschichte: Lütet Attena erschlug – angeblich auf Anraten seiner Schwiegermutter  Foelke Kampana (ca. 1355–ca. 1418) – deren Tochter, also seine Gemahlin Ocka, wegen behaupteter Untreue und Aufsässigkeit. Daraufhin steigerte sich  Foelke Kampana, die doch den Totschlag angeregt hatte, in eine vermutlich wohlkalkulierte Raserei und nahm an der Spitze ihres bewaffneten Gefolges kurzerhand die Burg ein. Sowohl Lütet Attena als auch seinen Vater Olde Hero ließ sie im Burghof enthaupten.

Ob sich das alles so zugetragen hat, wird angesichts der eher dürftigen Quellenlage von Historikern bezweifelt. Jedoch geistert Foelke Kampana, verheiratet mit Ocko II. tom Brok, dem Häuptling des Brokmer- und des Auricherlandes, seitdem als »Quade Foelke« – als böse Foelke – durch die ostfriesische Legendenwelt.

Um 1420 gelangte die Norderburg durch Heirat von Lütets und Ockas Tochter Etta mit Mauritz Kankena in den Besitz der  ostfriesischen Häuptlingsfamilie Kankena. 

Im Zuge der  Sächsischen Fehde wurden alle Dornumer Burgen 1514 zerstört. Die Sachsen hatten die Burgen zwar erobert, verkauften sie dann aber für 4000 Gulden an  Hero Omken († 1522) aus  Esens. Dieser Häuptling war ein erbitterter Feind des ostfriesischen Grafen  Edzard I. Cirksena (1461–1528), mit dem die vorherigen Burgbesitzer Hero Mauritz Kankena († 1518) und Hicko Mauritz Kankena († 1515) verbündet waren. Die  Cirksena konnten die Norderburg noch kurz zurückerobern, aber Hero Omken gelang es, sie schließlich zu vertreiben. Anschließend plünderte er die Burg und legte sie in Schutt und Asche. Ab 1534 ließ Hicko Kankena, Sohn von Hero Mauritz, die zerstörte Norderburg aus mit Muschelkalkmörtel verfugten Backsteinen im Klosterformat wieder aufbauen. Dieser Renaissancebau war der eigentliche Vorläufer des heutigen Schlosses.

Hicko verstarb 1554, kurz nach der Wiederherstellung der Burg. Seine Ruhestätte befindet sich heute in der Kirche neben der Kanzel. Dort liegen auch die sterblichen Überreste seiner Schwester Almet, die die Norderburg von ihrem Bruder durch Erbschaft übernahm. Sie war verheiratet mit Gerhard I. von Closter, der damit die Anwartschaft auf das Wasserschloss und die Herrlichkeit erhielt. Als Almet nur zwei Jahre nach ihrem Bruder 1556 verstarb, endete damit die zweite Periode der Häuptlingsgeschlechter: nach der der Attena nun auch die der Kankena.

Mit dem aus der Ehe von Almet und Gerhard I. stammenden Sohn Hero von Closter trat nun ein drittes Häuptlingsgeschlecht die Herrschaft an. Nach dessen Tod im Jahr 1568 folgte sein Sohn Gerhard II., dessen Gattin Henrica aus dem alten Häuptlingsgeschlecht der Ripperda stammte. Durch diese Heirat fiel auch die zerstörte Westerburg an die Herrschaft der Norderburg (siehe gemeinsames Wappen von 1590 am Eingang zum Innenhof der Burg).

Wappen des Haro Joachim von Closter (1661–1728), gegenüber 
das Wappen seiner zweiten Ehefrau Sophie L. Charlotte,
geb. Gräfin  von Danckelmann († 1725)

Bis ins 18. Jahrhundert blieb die Norderburg im Besitz der Familie von Closter. Der letzte Erbherr, Haro Joachim von Closter († 1728), baute die Burg zwischen 1698 und 1707 zu einem prächtigen Barockschloss im niederländischen Stil aus und bettete es in eine sorgsam gegliederte Parkanlage ein. In den Mauern sind noch Reste des alten  Renaissancebaus zu finden. 1707 erhielt das Torhaus von 1678 seinen 30 Meter hohen Turm, der mit einer  Welschen Haube gekrönt ist. In den beiden laternenartigen Zwischenstücken des Turmes hängen Glocken. Durch das Torhaus führt eine mit einem breiten Rundbogen versehene Durchfahrt zum eigentlichen Hauptgebäude. Haro Joachim von Closter war es auch, der den Spruch »Neid ist mir lieber als Mitleid« über dem Torbogen im inneren Schlosshof anbringen ließ. Bei einem Brand 1721 brannte der Nordflügel ab und wurde völlig neu errichtet. 

Bedeutsam ist der Rittersaal im Wasserschloss, ein doppelstöckiger Raum mit einer umlaufenden Galerie und einem barocken Deckengemälde, das  Demeter, die Göttin der Fruchtbarkeit und der Erde, darstellt. Ins Auge fallen zudem zwei große barocke Wandgemälde eines unbekannten Malers. Das eine zeigt Hero Mauritz von Closter (1594–1673) mit seinen drei Söhnen und zwei Töchtern, das andere seine Gemahlin Almuth von Fridag (1604–1650) mit drei Töchtern, von denen eine auf dem Totenbett liegt. 

Die beiden großen Wandgemälde im Rittersaal

Durch Heirat von Haro Joachim von Closters Tochter Sophie Friederike Anna mit Johann Eberhard von Wallbrunn, einem Baden-Württembergischen Geheimrat, endete die Herrschaft der Häuptlingsfamilie von Closter. 

In der Folge wechselten das Schloss und die zugehörigen Ländereien mehrfach die Besitzer. Nach dem Tod des Geheimrats erbte seine Tochter Wilhelmine Freiin von Wallbrunn die Besitzungen, die danach an ihren Ehemann Carl Gustav Freiherr von Uexküll-Gyllenband († 1801) übergingen. Der verkaufte sie 1795 an den Grafen Schonburg, der sie wiederum drei Jahre später an den Geheimrat von Hoffbauer zu Minden veräußerte.

1820 erwarb Ernst Friedrich Graf zu Münster (1766–1839) das Schloss mitsamt seinen Ländereien. Die blieben dann immerhin 110 Jahre lang im Besitz der Familie.

Ab 1920 wurde das Gebäude als private Mittelschule genutzt. Schulleiterin war unter anderem  Christine Bourbeck, die später in Bethel und Berlin wirkte und als eine der bedeutendsten evangelischen Theologinnen Deutschlands gilt.

Im Jahr 1930 bot Paul Alexander Wilhelm Graf zu Münster (1898–1968) den gesamten Besitz zum Verkauf an. Zum Schloss gehörten die Höfe Alexandrinenhof, Damm, Georgshof, Groß-Kiphausen, Joachimsfeld, Marienfeld und Wilhelminenhof mit insgesamt 849 ha. Ein Konsortium aus mehreren Landwirten kaufte die Höfe. Das zum Teil wertvolle Schlossinventar nahm Graf zu Münster mit nach Derneburg, dem Stammsitz der Familie. In dem nunmehr leerstehenden Gebäude richteten ostfriesische Bauern zunächst eine Bauernhochschule ein. Ab 1933 diente es kurzfristig als Führerschule der SA, danach als Wohn- und Ausbildungsstätte des Reichsarbeitsdienstes. 1942 ging es aus Privatbesitz in das Eigentum des Staates über. 

Nach dem Zweiten Weltkrieg fiel das Schloss in den Besitz des Landes Niedersachsen. Ab Ostern 1951 wurde darin eine private Mittelschule untergebracht. 1956 erfolgte die Umwandlung der Lehranstalt zur öffentlichen Realschule, die Schulträgerschaft übernahm der Landkreis Norden. 

Als Eigentümerin restaurierte das Land Niedersachsen in den folgenden Jahren alle Gebäude vollständig. Aus der alten Herrenscheune entstand eine neue Turnhalle, und die gegenüberliegende Rentei wurde für den Fachunterricht in Physik, Chemie, Biologie und Werken umgebaut. Der Rittersaal wurde 1974 zur Aula restauriert. Im selben Jahr wurde mit 445 Schülern die höchste Schülerzahl erreicht. Die Schulträgerschaft wurde hiernach vom bisherigen Landkreis Norden auf den Schulzweckverband Dornum-Holtriem übertragen.

Unter der Leitung des Staatshochbauamtes Aurich wurde 1984 der Turm der Vorburg abgehoben, am Boden restauriert und ein Jahr später wieder aufgesetzt. Dazu gehörte auch die aus dem Jahr 1835 stammende Wetterfahne: einem Ross mit vergoldeter Kugel.

Am 25. September 2004 verkündeten die Schlagzeilen der ostfriesischen Presse, dass das Land Niedersachsen beabsichtige, das Wasserschloss mitsamt seinen Liegenschaften zu veräußern. Die Gemeinde als Schulträger stellte erste Kaufüberlegungen an, die im Rat politisch aber keine Mehrheit fanden, da die Höhe der Unterhaltskosten wie auch des Verwaltungsaufwandes für unkalkulierbar eingeschätzt wurden. Zeitgleich bekundeten etliche Privatpersonen von nah und fern ihr Kaufinteresse. Wie verlockend solche Angebote im Hinblick auf den Gemeindehaushalt auch waren, so heikel waren sie auch, denn der Schulstandort und der Zugang zum Schloss für die Öffentlichkeit wären bei einem Zuschlag verloren gegangen. 

Einen Monat später machte der Dornumer Geschäftsmann Reint Janssen dem Samtgemeindedirektor Dieter Erdmann und den Vorsitzenden der im Rat vertretenen Fraktionen ein anders geartetes Angebot. Er schlug die Gründung einer öffentlich-privaten Partnerschaft vor – bestehend aus ihm selber, sieben weiteren Bürgern sowie der Gemeinde –, um die gesamte Liegenschaft zu erwerben. Diesem Vorschlag stimmte der Gemeinderat einhellig zu. Im September 2005 wurde daraufhin die Schloss Dornum GmbH & Co. KG gegründet, die alsbald in vertraulich gehaltene und schließlich erfolgreiche Verhandlungen mit dem niedersächsischen Finanzministerium eintrat. 

Im Januar 2006 wurde der Kaufvertrag geschlossen, und im April 2006 fand die feierliche Übergabe statt. Seitdem verwaltet die Schloss Dornum GmbH & Co. KG die Liegenschaft.

Im Laufe der fast zwanzig Jahre, die seitdem verstrichen sind,

  • wurden die Rentei und das Turnhallengebäude neu eingedeckt,
  • der Rittersaal und das Deckengemälde 2013 mit Unterstützung von EU-Mitteln für den Erhalt des Kulturerbes vollständig restauriert und nach alten Plänen wieder hergestellt,
  • 2020 alle Wände und Fensterrahmen der Vorburg, der Turnhalle und der Rentei aufgearbeitet und neu gestrichen.

Das Schlossgebäude selbst konnte, wiederum mit Hilfe von Fördermitteln, 2022 vollständig saniert werden.

Als Geschäftsführer der Schloss Dornum GmbH & Co. KG fungierte von 2006 bis zu seinem Tod 2018 Otto Runne, einer der Mitgesellschafter. Seitdem liegt die Verwaltung in den Händen der Geschäftsführer und Mitgesellschafter Reint Janssen und Onno Poppinga.

Aufgrund der engagierten Schulleitungen von Christine Deuter und Gudrun Fleßner samt Kollegium und der Attraktivität dieser einzigartigen Liegenschaft haben sich die Schülerzahlen von 105 im Jahr 2009 auf derzeit 250 Schüler und Schülerinnen entwickelt.

Außer für den Schulbetrieb dient das Schloss als Veranstaltungsort etwa für Konzerte und Lesungen, für das jährliche Ritterfest, für die in der Regel alle zwei Jahre stattfindenden »Dornumer Kunsttage« sowie den Weihnachtsmarkt, die alle weit über Dornums Grenzen hinaus bekannt sind. Die gut erhaltene Anlage und der sie umgebende Wald machen das Schloss zu einem lohnenswerten Ziel für historisch interessierte Besucher Dornums.

Die Schlossanlage erstreckt sich über eine Fläche von 38.574 qm. Das Hauptgebäude ist vom inneren Schlossgraben und dieses mitsamt den angrenzenden Flächen und Nebengebäuden vom äußeren Schlossgraben umgeben. Westlich und nördlich schließt sich der zugehörige Schlosswald mit einer Größe von 78.584 qm an.

Das Torhaus im Lichte des Weihnachtsmarktes, © Foto Jürgen Jester

Die Schlossstraße führt durch das Torhaus von 1678 mit seinem Turmhelm von 1707 und endet auf dem weiten Platz der Vorburg, in dem ebenfalls die von alten Bäumen gesäumte barocke Schlossallee mündet.  

Stammtafel des Geschlechtes von Closter

Besichtigung des Schlosses

Von Anfang April bis Ende Oktober können der Innenhof, das Foyer und der Rittersaal des Schlosses besichtigt werden. 

Öffnungszeiten an Samstagen, Sonn- und Feiertagen von 11:00 bis 16:00 Uhr. 

Der Eintritt ist frei, eine Spende willkommen.

Der Rittersaal in seiner ganzen Pracht,
© Foto Roland Rossner / Deutsche Stiftung Denkmalschutz

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Text: Reint Janssen unter Verwendung von Passagen aus dem Wikipedia-Lemma »Norderburg (Dornum)« und aus
Paul Otten / Hermann Rector, Dornum in Vergangenheit und Gegenwart, 3. Aufl. 1997

Redaktion und Gestaltung: Kurt Begitt und Klaus Gabbert

Faksimile der Stammtafel  aus Otten/Rector 1997, S. 64
© by Verlag Soltau-Kurier-Norden,
Stellmacherstr. 14, 2506 Norden (www.skn-verlag.de)
 Mit frdl. Genehmigung.
Das »No« steht für Norderburg.

Das Schlossportrait zu Beginn, © Martin Stöver / Tourismus GmbH
Gemeinde Dornum
Alle sonstigen Fotos, sofern nicht anders vermerkt, © Kurt Begitt