Wie die Orgel in die Petri-Kirche nach Westeraccum kam

Heute erscheint es uns als selbstverständlich, in einer Kirche eine Orgel vorzufinden. Aber das war nicht immer so. So ein Instrument kostete schließlich einen enormen Betrag, musste bespielt und gepflegt werden, hatte also auch Folgekosten für die Gemeinde.

Für die Petri-Kirche in Westeraccum lässt sich für die Zeit vor 1740 keine Orgel nachweisen. Aber dann hatte die Gemeinde Glück. Aylt Harmens, ein offenbar wohlhabender Bürger des Dorfes, hatte in seinem Testament vom 2. Juli 1740 den Betrag von 600 Ostfriesischen Gulden für den Bau einer Orgel in seiner Kirche eingesetzt. An diesen Betrag war die Bedingung geknüpft, dass die Orgel im Chor der Kirche zu errichten sei.

 

Orgel zum Verkauf

Als es nun darum ging, an wen denn der Auftrag für die neue Orgel vergeben werden sollte, verständigte sich der Kirchenvorstand nur unter Vorbehalten auf den Orgelbauer Constabel aus Wittmund. Da aber kam der Gemeinde der Zufall zu Hilfe. Der Schiffer Galt Arents aus Westeraccumersiel hatte auf der Rückreise von Norwegen einen Zwischenaufenthalt im schleswigschen Tönning eingelegt, um Fracht zu löschen. Dort erfuhr er von einer Orgel in der ehemaligen Garnisonskirche, die schon vor fast hundert Jahren in ein Waisenhaus umgewandelt worden war. Und nun sollte die längst nutzlos gewordene Orgel verkauft werden.

So schrieb Schiffer Galt Arents an seinen Freund Hero Focken in Westeraccumersiel:

Tönning, den 17. Juli 1743.

Sehr geehrter Freund Hero Focken, nicht unterlassen können, zu berichten, daß wir hier zu Tönning eine Orgel der Soldatenkirche zu unserer Kirche haben gekauft, das ich nicht konnte nachlassen, kam gut zu passen. Denn es ist von 14 Stimmen stark und so gut von Specie als ganz neu, so nun nicht gemacht wird, welches der Orgelmacher selbst bezeugen sollte.

Wir haben es besehen lassen – so hoffe ich, daß es euch sollt allen wolgefallen, und es ist alles dabei gekauft, Holz und Zierat, was an der Orgel gehört, braucht nur aufgestellt zu werden. Der Bruder Jan bringt es mit Fracht, morgen soll sie abgenommen werden, ein Organist soll alles, Pfeifen einpacken, hoffentlich kommt alles gut über. Grüß alle guten Freunde, ich verbleibe euer guter Freund Galt Arents.

An Schipper Hero Focken wohnt in Ostfriesland bei Westeraccumersiel. Franco Bremen.

Unversehrter Transport

Dieser Brief brachte vor Ort dann einiges in Bewegung. Die Orgel kam über kurz oder lanf wohlbehalten in Westeraccumersiel an und wurde zunächst unter der Aufsicht des Organisten Fastenau und der Orgelbauer Constabel und Struwe in einem leeren Haus gelagert.

Pastor Jacobi machte dann eine Eingabe an das Amt Esens:

9. August 1743.

Es hat sich ein sehr glücklicher Casus zugetragen, daß ein vornehmer Schipper, Galt Arents, von Norwegen kommend, Fracht in Tönning ausladet, hört von einer fast neuen Orgel in der Garnisonkirche, die jetzt Waisenhaus werden soll, verfügt sich zu Pastor Ulitz und kauft alles, Pfeifen, Balken Treppe, Anker, für 280 Mark, welches in Ansehung des im Waisenhaus zu Esens befindlichen kleinen Positivs von 6 Registern so doch über 130 Reichstaler und der Ochtersumer Orgel von 9 Stimmen, die weit über 500 Thaler gekostet, ein Spottgeld.

Alles wurde für gut befunden und bezeuget, daß es für keine 1000 Reichsthaler gemacht wäre, mithin hier im Lande, außer was die Norder und Dornumer Orgeln betrifft, wohl wenige dergleichen. Gleich dann der Orgelmacher Constabel uns 100 Thaler in die Hand geboten und die beiden Lanzii aus Grimmersum, die mit dem Organisten von Dornum zugleich mitgegenwärtig und in Species darum eigentlich gekommen wären, 500 Gulden dafür geben und sodann in der Kirche zu Grimmersum haben gebrauchen wollen.

Mit diesem Angebot hatten die beiden Grimersumer allerdings keinen Erfolg, denn Galt Arents hatte diese Orgel für seine Kirche im Westeraccum erstanden.

 

Streit um Standort

Am 24. August 1743 genehmigte die gräfliche Regierung den Einbau dieser Orgel in die Petri-Kirche durch Orgelbauer Constabel für 125 Reichsthaler.

In der Kirchengemeinde entbrannte allerdings ein Streit über den Standort der Orgel. Die Bauern bestanden auf einem Standort im Chor, wie es im Testament des Spenders vorgesehen war. Galt Arends bestand auf einem Standort im Westen, weil die Orgel für den Chor viel zu groß sei. Die anderen Sieler unterstützten ihn dabei, zumal der Schiffer damit drohte, die Orgel, wenn seinem Wunsch nicht entsprochen werde, doch noch mit einem hübschen Gewinn nach Grimersum zu verkaufen.

Der schließlich angerufene Fürst Carl-Edzard sprach sich ebenfalls für einen Standort im Westen aus. Dies führte zu Geschrei und Getümmel in der Kirche. Deshalb wurde sie für über einen Monat geschlossen, damit die Orgelbauer in Ruhe arbeiten konnten.

Nach abgeschlossenem Einbau wurde das Instrument am 30. November 1743 in der Petri-Kirche durch den Organisten Georg Friedrich Abt Dornum abgenommen: "Die Orgel ist in gutem Stande." Am 29. April 1744 machte Pastor P. Jacobis eine Eingabe, in der er alle Verleumdungen, vor allem über den Luxus dieses Instrumentes, zurückwies. Sie wurde regelmäßig durch verschiedene Orgelbauer gewartet und repariert.

Erst nachdem sie 150 Jahre ihren Dienst versehen hatte, wurde Orgel aus Tönning im Jahr 1892/93 durch einen Neubau des Orgelbauer Becker aus Hannover ersetzt.

 

(Dieser Beitrag verdankt sich Axel Heinze und Helga Wiechers, denen wir für die Wiedergabegenehmigung danken. Quellen: Walter Kaufmann: Die Orgeln Ostfrieslands, Aurich 1968. Karl-Heinz Wiechers: Und fuhren weit übers Meer, Norden 1984. Heyko Heyken: Die Familien der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Westeraccum, Aurich 2014.)